Leseprobe aus „Schaumkämme“

Der Wind spielte auf der Strandstraße mit Sandkringeln. Sonntag. Jörg hatte diesen Urlaubsplatz abbekommen. „Versteh das als Auszeichnung“, hatte der BGL-Vorsitzende gesagt, ihm die Hand geschüttelt und auf die Schulter geklopft. „Schönes Wetter, und erholt euch gut!“

Jetzt weiße Wolkenfetzen, Schaumkämme auf den Brandungswellen. Jörg hatte die Stimme der Strandfunkfrau im Ohr, die jeden Morgen die Strand- und Badeordnung mit eindringlicher Stimme verlas. „Hochgezogener Sturmball bedeutet Badeverbot. Dann ist das Baden verboten.“ Den Kindern bereitete das großen Spaß. Sie äfften die Funkfrau nach: „… ist das Baden verboten“. Die Große kicherte jedes Mal, und sogar der fünfjährige Jonas musste lachen.

Jörgs Elvira setzte einen drauf. Mit bitterernster Mine und erhobenem Zeigefinger sagte sie: „Dem Opa Weeke seine Silberplatte aufm Kopf hat gestern Abend gewackelt. Und der hat gesecht: ,Dat gipt Sturm. Passt blooß up!ʻ“.

Susi fand Opa Weeke toll. Gern hörte sie ihm zu, wenn er seine Meeres-Geschichten erzählte. Opa Weeke war früher Fischer. Sein Haus steht hinter dem Hotel am Strand. Die Kinder fanden es dort spannender als in der FDGB-Schlafburg. 

„Haben alle Fischer so eine Silberplatte?“ Susi war wie viele Mädchen in ihrem Alter neugierig. Im Dezember würde sie elf. 

„Nee, nee, mein Kind“, sagte der Opa. „Im Krieg haben die Russen mir ein Stück vom Kopf weggeschossen. Dass man mir beim Denken nicht immer in die Rübe gucken kann, hat der Doktor den Deckel draufgemacht. Damit spüre ick genau, wann dat Wetter schlimm wird.“

Opa Weeke zündete sich seine Tabak-Pfeife an und blies Rauch-Ringe in die Luft. 

In der Nacht pfiff der Wind heftig um das Hotel. Elvira war davon aufgewacht und hatte das Fenster geschlossen. Am Morgen war das Unwetter vorbei. Nach dem Frühstück packten sie ihre Strandsachen und zogen los. Am Abend hatte er Elvira überzeugt, das mit dem FKK zu versuchen. Den Strandkorb hätten sie ja in Reserve, wenn etwas schiefginge. 

Nun also waren sie seit ein paar Tagen Burgherren. Die Kinder hatten ihre Beschäftigung. Und die Eltern konnten sich entspannen. Schwimmen im Meer, das Spielen in den Wellen, das Burgenkleckern – für alle toll. Grandios fand Jörg, dass Elvira keine Textilstreifen bekam. Nur Susi wickelte sich auf dem Weg zum Meer in die Luftmatratze. Niemand sollte sehen, wo dem Mädchen Härchen wuchsen. Jörg und Elvira nahmen es gelassen hin. Und Jonas interessierte so etwas nicht. 

Aber heute war der Sturmball hochgezogen.